Mittwoch, 13. Juni 2007

Fuersorglicher Staat

Zuletzt haben mich einige besorgte emails erreicht: Es sei unklar, ob man uns/mich um diesen Aufenthalt beneiden müsse, dürfe, solle – immerhin klinge das alles sehr gefährlich…

Hiezu ist zu sagen, dass es wohl keinen Staat in dieser Welt gibt, der sich besser um seine Bürger kümmert als die Bolivarianische Republik Venezuela. Ein Beispiel:
Wer im Supermarkt einkauft, muss seine Passnummer angeben. Wer eine SIM-Karte fürs Handy kauft, detto – wiewohl hier zusätzlich ein Daumenabdruck erbeten wird. Und auch bei längeren Busfahrten wird waehrend des Zahlungsvorgangs freundlich nach der Cedula, sprich Passnummer, gefragt.

Auf den ersten Blick mag dies wie eine lästige Schikane wirken. Doch man sollte diese Routine nicht als Anzeichen totalitärer Strukturen deuten, nein, vielmehr geht’s immer um Service & Sicherheit.
Hier die gängigsten – von mir selbst entwickelten – Theorien, warum auch Mitteleuropa gut daran täte, die Passnummernpflicht bei Billa, Bipa & Dr. Richard einzuführen:

- Durch die permanente Dokumentation der Einkaufsgewohnheiten können die Lebensmittelhändler antizipierendes Regal-Schlichting betreiben.
Wenn ich als Herr Bipa weiß: Am Samstag kommen die Familien Sanchez, Cortez und Zapato, die kaufen jeweils 5 Liter Vollmilch, fettreduziert dann kann ich meine Regalschlichter am Vortag anweisen, antizipierendes Regal-Schlichting zu betreiben.
Soll heißen: Das Milchregal ist schon vorbereitet auf den Ansturm der drei Familien – und aller anderen Milchkäufer. Ein völlig neues Konzept, das nur noch dadurch übertroffen werden könnte, dass der jeweilige Liter bereits für die entsprechende Familie vorkuponiert wird – aber auch das ist den service-orientierten Venezolanern in Bälde zuzutrauen.

- Passpflicht beim Einkaufen senkt Risiko fuer Allergie-Schocks und andere medizinische Notfaelle:
Bei der zusätzlichen Angabe von Allergien, Blutgruppen, bisherigen operativen Eingriffen, etc. an der Kassa kann das Supermarkt-Personal sofort eingreifen, sollten irrtümlich oder gar aus suizidalen Motiven Lebensmittel beschafft werden, die der Gesundheit von dem oder der Einkaufenden abträglich sind.
Wiederum das Beispiel: Hat Frau Martinez eine garstige Roggen-Allergie und kauft sie – wider besseres Wissen – Roggenmehl, so kann die hilfreiche Kasseuse sofort einspringen: „Halt! Den Roggen nicht! Hier gibt’s ein Problem!“ Der Supermarkt-Kassier als Lifeguard – wo in Europa gibt’s denn so etwas?

Ähnlich verhält es sich bei Transport- und Reisegewohnheiten:
- Durch die detaillierte Dokumentation jedweder Verkehrsbewegung können wichtige Synergie-Effekte erzielt werden.
Ein Beispiel: Herr Bolivar fährt jeden Morgen mit dem Bus von Maracay nach Caracas (macht zwar keinen Sinn, weil viel zu weit, aber ist halt so…). Herr Hernandez fährt auch jeden Morgen und zwar zur selben Zeit mit dem selben Bus von Maracay nach Caracas (warum, das ist auch bei ihm jetzt nebensächlich). Zufällig wohnen die beiden in Maracay im selben Haus. Wird ihre morgendliche Busfahrt staatlich dokumentiert, kann das „Bolivarianische Amt für Verkehrs-, Reise- und Mobilitätsdokumentationswesen“ sofort einen Brief mit folgender Botschaft an beide Herren schicken:
„Sehr geehrter Herr Hernandez (gilt auch für Bolivar)! Sie wohnen wie uns nunmehr bekannt wurde in Maracay im selben Haus wie Herr Bolivar (gilt auch für Hernandez) und teilen dessen Mobilitätsgewohnheiten. Kaufen Sie sich doch ein Auto, dann können Sie mit Herrn Bolivar (gilt auch für Hernandez) eine Fahrgemeinschaft für Caracas bilden – ist schneller und vermutlich günstiger. Hochachtungsvoll, Ihr Bolivarianisches Amt für Verkehrs-, Reise- und Mobilitätsdokumentation.“

- Makro-ökonomische Vorteile:
Aus dieser Perspektive ist die Notwendigkeit einer ausgeklügelten Dokumentation der Verkehrs-, Mobilitäts- und Reisegewohnheiten noch viel wichtiger: Sobald ich weiß, wann wer wie weit wohin fährt, kann ich als Bolivarianische Republik das komplette öffentliche Busnetz auf diese Gewohnheiten abstimmen. Die einzige Schwäche, die allenfalls zu bemängeln wäre ist, dass es dieses Busnetz nicht gibt. Noch nicht. Aber das kommt! Die Revolution laeuft !!!

1 Kommentar:

Shu hat gesagt…

Diese Vorschläge kann ich unter der Vision eines sozialverträglichen Kommunismus nur unterstützen und hätte bloß folgende Anmerkungen.

- Wenn der Händler genau weiß, was seine Kunden brauchen, kann er den Verbraucher gleich mit dem Hersteller kurzschließen und sich dadurch im Dienst einer effektiveren Gesellschaft überflüssig machen.

- Die Krankheitsvorsorge durch zwischenmenschliche Kontrolle könnte natürlich auch auf Sexualpraktken ausgedehnt werden (z.B. moralisch begrenzte Kondomausgabe an Übereifrige)

- Schließlich die Verkehrswege. Warum müssen die Leute überhaupt soviel durch die Gegend fahren? Es sollte Prämien geben für jene, die es schaffen, alle Lebensangelegenheiten im Umkreis von, sagen wir, 1 km zu organisieren.

Ja ja, da kann man noch viel machen.